Einleitung: BFSG – Was bedeutet das für digitale Angebote im Mittelstand?
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) stellt für mittelständische Unternehmen einen echten Wendepunkt dar. Wer digitale Angebote wie Webseiten, Online-Shops oder Apps für Endkunden bereitstellt, muss ab dem 28. Juni 2025 strenge Vorgaben zur digitalen Barrierefreiheit erfüllen. Was bislang vor allem Behörden betraf, gilt nun auch für viele private Anbieter: Digitale Produkte und Dienstleistungen müssen so gestaltet sein, dass sie von Menschen mit Behinderungen ohne zusätzliche Hürden genutzt werden können.
Für den Mittelstand bedeutet das konkret: Wer weiterhin am Markt bestehen und Bußgelder vermeiden will, muss seine digitalen Angebote technisch und inhaltlich anpassen. Das BFSG nimmt dabei keine Rücksicht auf Branchen oder Geschäftsmodelle – entscheidend ist, ob sich das Angebot an Verbraucher richtet. Besonders relevant wird das Gesetz für Unternehmen, die bislang keine Erfahrung mit barrierefreien Lösungen haben. Denn der Gesetzgeber fordert nicht nur kosmetische Anpassungen, sondern die Einhaltung verbindlicher Standards wie der EN 301549 und der WCAG-Richtlinien.
Mit dem BFSG entsteht für den Mittelstand ein klarer Handlungsdruck, aber auch eine Chance: Wer Barrierefreiheit frühzeitig umsetzt, erschließt neue Zielgruppen und stärkt das eigene Image als verantwortungsbewusstes Unternehmen. Gleichzeitig wird die digitale Teilhabe für alle Nutzer verbessert – ein Aspekt, der in Zeiten zunehmender Digitalisierung immer wichtiger wird.
Geltungsbereich des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG)
Der Geltungsbereich des BFSG ist klar umrissen und betrifft zahlreiche digitale Produkte und Dienstleistungen, die sich an Endverbraucher richten. Das Gesetz greift immer dann, wenn Unternehmen Hardware oder Software anbieten, die im Alltag von Menschen genutzt wird. Dazu zählen beispielsweise Smartphones, Tablets, Geldautomaten, Fahrkartenautomaten und E-Book-Reader. Auch digitale Dienstleistungen wie Online-Shops, Terminbuchungsplattformen oder Apps für Verbraucher fallen unter die Regelungen.
- Das BFSG gilt ausschließlich für Angebote, die sich an Privatpersonen richten (B2C).
- Webseiten und Anwendungen von Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten oder unter 2 Millionen Euro Jahresumsatz sind ausgenommen.
- Reine B2B-Angebote sowie private, nicht-kommerzielle Webseiten fallen nicht unter das Gesetz.
- Für bestimmte Produkte, wie ältere Selbstbedienungsterminals, gelten verlängerte Übergangsfristen bis 2040.
- Eine Ausnahme ist möglich, wenn die Umsetzung der Anforderungen das Produkt grundlegend verändern oder einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten würde.
Die konkreten technischen und inhaltlichen Anforderungen werden durch die BFSG-Durchführungsverordnung und die EU-Norm EN 301549 festgelegt. Für Webseiten und Apps sind insbesondere die WCAG-Standards maßgeblich. Unternehmen müssen also genau prüfen, ob ihre digitalen Angebote in den Geltungsbereich des BFSG fallen, um rechtzeitig alle Vorgaben umzusetzen.
Konkrete Anforderungen an Webseiten und digitale Produkte laut BFSG
Das BFSG schreibt für Webseiten und digitale Produkte verbindliche Kriterien vor, die über reine Oberflächenanpassungen hinausgehen. Im Mittelpunkt stehen die Prinzipien wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust. Diese Anforderungen orientieren sich an internationalen Standards wie WCAG und EN 301549.
- Navigation ohne Maus: Alle Funktionen müssen vollständig per Tastatur erreichbar sein. Das schließt Formulare, Menüs und interaktive Elemente ein.
- Farbkontraste: Texte und grafische Elemente benötigen einen Mindestkontrast, damit sie auch bei Sehschwächen klar erkennbar bleiben.
- Alternativtexte: Für Bilder, Grafiken und Bedienelemente sind beschreibende Texte Pflicht, damit Screenreader die Inhalte erfassen können.
- Strukturierte Inhalte: Überschriften, Listen und Absätze müssen logisch gegliedert sein. Das erleichtert die Orientierung für alle Nutzer.
- Multimedia-Barrierefreiheit: Videos brauchen Untertitel, Audioinhalte ein Transkript. So wird der Zugang für hör- oder sehbehinderte Menschen sichergestellt.
- Erklärung zur Barrierefreiheit: Auf jeder Unterseite muss eine leicht auffindbare Information stehen, die den aktuellen Stand der Barrierefreiheit dokumentiert und Kontaktmöglichkeiten bietet.
Zusätzlich verlangt das BFSG regelmäßige Überprüfungen der digitalen Angebote. Automatisierte Prüfwerkzeuge und manuelle Tests sind zu kombinieren, um Schwachstellen frühzeitig zu erkennen. Die Ergebnisse müssen dokumentiert und bei Bedarf öffentlich gemacht werden. So wird Transparenz geschaffen und die kontinuierliche Verbesserung gefördert.
Pflichten und Fristen zur Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit
Unternehmen, die vom BFSG erfasst werden, müssen ihre digitalen Angebote bis spätestens 28. Juni 2025 vollständig barrierefrei gestalten. Für einige technische Geräte wie ältere Selbstbedienungsterminals gilt eine verlängerte Frist bis 2040. Die Verpflichtung umfasst nicht nur die Entwicklung neuer Inhalte, sondern auch die fortlaufende Anpassung und Überprüfung bestehender Angebote.
- Die Barrierefreiheit muss kontinuierlich gewährleistet werden – einmalige Anpassungen reichen nicht aus.
- Alle Änderungen und Prüfungen sind zu dokumentieren und auf Anfrage den Behörden vorzulegen.
- Eine Erklärung zur Barrierefreiheit ist stets aktuell zu halten und auf jeder Unterseite sichtbar zu platzieren.
- Bei Nichteinhaltung der Fristen drohen Bußgelder bis zu 100.000 Euro.
- Unternehmen müssen eine Kontaktmöglichkeit für Rückmeldungen und Beschwerden bereitstellen.
Die Überwachung erfolgt durch die zuständigen Marktaufsichtsbehörden. Sie prüfen stichprobenartig, ob die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Wer rechtzeitig handelt, minimiert das Risiko von Sanktionen und bleibt wettbewerbsfähig.
Praktisches Beispiel: So setzen Mittelständler das BFSG Schritt für Schritt um
Ein mittelständisches Unternehmen, das einen Online-Shop betreibt, steht vor der Aufgabe, die Anforderungen des BFSG systematisch umzusetzen. Ein strukturierter Ablauf hilft, Zeit und Ressourcen optimal einzusetzen und Fehler zu vermeiden.
- Bestandsaufnahme: Zuerst wird geprüft, welche digitalen Angebote betroffen sind. Dazu zählt nicht nur die Hauptseite, sondern auch Kundenportale, Apps und Bedienoberflächen von Geräten.
- Barrierefreiheits-Check: Mithilfe spezialisierter Tools und externer Experten werden Schwachstellen identifiziert. Hierbei wird ein Prüfprotokoll erstellt, das als Grundlage für die nächsten Schritte dient.
- Priorisierung: Die identifizierten Mängel werden nach Dringlichkeit sortiert. Bereiche mit hoher Nutzerfrequenz oder kritischen Funktionen stehen ganz oben auf der Liste.
- Umsetzung: Entwickler und Designer passen Navigation, Kontraste, Alternativtexte und Multimedia-Inhalte gezielt an. Die Anpassungen erfolgen iterativ, um schnelle Verbesserungen sichtbar zu machen.
- Testphase: Nach jeder Anpassung werden automatisierte und manuelle Tests durchgeführt. Nutzer mit Behinderungen werden aktiv in die Testphase eingebunden, um echte Alltagssituationen abzubilden.
- Dokumentation: Alle Maßnahmen und Ergebnisse werden nachvollziehbar dokumentiert. Die Erklärung zur Barrierefreiheit wird aktualisiert und auf der Website platziert.
- Schulung: Mitarbeitende erhalten Schulungen, damit neue Inhalte und Funktionen künftig von Anfang an barrierefrei gestaltet werden.
- Regelmäßige Überprüfung: In festen Abständen werden die digitalen Angebote erneut geprüft und bei Bedarf nachgebessert. So bleibt die Barrierefreiheit dauerhaft gewährleistet.
Durch diese strukturierte Vorgehensweise gelingt es Mittelständlern, die Vorgaben des BFSG effizient und nachhaltig zu erfüllen – und gleichzeitig die Nutzerfreundlichkeit für alle zu steigern.
Überwachung, Sanktionen und Kontrollmechanismen beim BFSG
Die Einhaltung des BFSG wird von staatlichen Marktaufsichtsbehörden systematisch überwacht. Diese Behörden führen stichprobenartige Prüfungen durch und reagieren auf Hinweise von Nutzern oder Verbänden. Unternehmen müssen auf Anfrage alle Nachweise zur Barrierefreiheit ihrer digitalen Angebote vorlegen können.
- Kontrollmechanismen umfassen sowohl technische Prüfungen als auch die Auswertung von Nutzerbeschwerden.
- Bei Verstößen kann die Behörde eine Frist zur Nachbesserung setzen oder direkt Sanktionen verhängen.
- Bußgelder von bis zu 100.000 Euro sind möglich, wenn Mängel nicht behoben werden oder Nachweise fehlen.
- Wiederholte Verstöße oder grobe Fahrlässigkeit können zu weiteren Maßnahmen führen, etwa der Veröffentlichung von Verstößen oder der Untersagung des Angebots.
- Betroffene Nutzer haben das Recht, sich an eine Schlichtungsstelle zu wenden, falls sie auf Barrieren stoßen und keine Lösung vom Anbieter erhalten.
Die Behörden setzen auf Transparenz und eine nachvollziehbare Dokumentation aller Prüfungen. So soll sichergestellt werden, dass das BFSG nicht nur auf dem Papier, sondern auch im digitalen Alltag Wirkung zeigt.
Vorteile und Chancen für Unternehmen durch die Einhaltung des BFSG
Die Umsetzung des BFSG bietet Unternehmen weit mehr als nur Rechtssicherheit. Wer digitale Barrierefreiheit ernst nimmt, erschließt sich neue Märkte und steigert die Attraktivität seiner Angebote für eine breitere Zielgruppe. Menschen mit Behinderungen, ältere Nutzer oder Personen mit temporären Einschränkungen werden so zu potenziellen Kunden, die bisher oft ausgeschlossen waren.
- Wettbewerbsvorteil: Barrierefreie digitale Produkte heben sich positiv von der Konkurrenz ab und fördern das Vertrauen in die Marke.
- Imagegewinn: Die öffentliche Wahrnehmung verbessert sich, da das Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernimmt und Inklusion aktiv fördert.
- Suchmaschinenfreundlichkeit: Barrierefreie Webseiten sind meist besser strukturiert und werden von Suchmaschinen leichter erfasst, was die Sichtbarkeit im Netz erhöht.
- Innovationsschub: Die Beschäftigung mit Barrierefreiheit führt oft zu neuen, benutzerfreundlichen Lösungen, die allen Kunden zugutekommen.
- Rechtssicherheit: Die konsequente Einhaltung der Vorgaben minimiert das Risiko teurer Rechtsstreitigkeiten und schützt vor Imageschäden.
Unternehmen, die frühzeitig auf die Anforderungen des BFSG reagieren, sichern sich nicht nur einen Platz im digitalen Wandel, sondern gestalten diesen aktiv mit. Die Investition in Barrierefreiheit zahlt sich langfristig aus – wirtschaftlich und gesellschaftlich.
Fazit: Warum das BFSG mehr als nur gesetzliche Pflicht ist
Das BFSG markiert einen Wendepunkt für die digitale Gesellschaft, weil es nicht nur auf die Einhaltung von Vorschriften abzielt, sondern echte Veränderungen im Denken und Handeln anstößt. Unternehmen, die sich mit der Umsetzung auseinandersetzen, erkennen oft neue Perspektiven: Barrierefreiheit wird zum Innovationstreiber und zur Inspirationsquelle für moderne Produktentwicklung.
- Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Nutzerbedürfnissen fördert ein besseres Verständnis für Usability und User Experience.
- Durch barrierefreie Gestaltung entstehen oft neue Ideen für Serviceangebote, die vorher niemand auf dem Schirm hatte.
- Unternehmen, die Barrierefreiheit als Teil ihrer Unternehmenskultur etablieren, profitieren von motivierten Teams und einer stärkeren Identifikation mit den eigenen Werten.
Wer das BFSG als Chance begreift, geht über die reine Pflichterfüllung hinaus und gestaltet aktiv eine inklusive, zukunftsfähige digitale Welt. Das zahlt sich aus – nicht nur für die Nutzer, sondern auch für die Unternehmen selbst.